Manchmal ist es schwer den Weg der Liebe zu finden. Es erfordert den Mut danach zu suchen oder die Geduld darauf zu warten. Und manchmal ist sie längst da, nur wir sind noch nicht bereit sie zu sehen.
Mike (39) lebt mit mehreren cerebralen Bewegungseinschränkungen und Muskelstörungen. Ebenfalls hat er Schwierigkeiten beim Sprechen und eine Lernbehinderung. Sein Rollstuhl hilft ihm im Alltag und bietet ihm mehr Mobilität. Für seine heutigen Behinderungen waren Komplikationen bei seiner Geburt verantwortlich: Sauerstoffmangel hinterließ bleibende Schäden am Gehirn, dass Mike mit Behinderungen leben würde, war somit seit seiner Geburt klar. Für Paul (3) haben seine Ärzte noch keinen genauen Grund oder eine Diagnose feststellen können. Doch auch bei ihm zeichnen sich seit dem achten Lebensmonat cerebrale Bewegungsstörungen und geistige Einschränkungen ab.
Über einige Monate bekam ich die Möglichkeit, mit meiner Kamera tiefe Einblicke in das Leben von Mike und Paul so wie ihr alltägliches Familienleben zu sammeln. Dabei stieß ich außerhalb meiner Zeit mit ihnen auf ein sehr konträres Wahrnehmungsempfinden, wenn ich anderen von meiner Arbeit erzählte. Die Stigmatisierung von Mitleid gegenüber Menschen mit Behinderungen ist leider auch heute noch gesellschaftlich spürbar. Dabei hat dieses Mitleid aber meist nicht einmal absichtlich schlechte Ursprünge.
„Wow der sitzt permanent nur in nem Rollstuhl, das stelle ich mir furchtbar vor.“ „Oh die arme Familie, stell dir mal vor dein Kind würde mit schweren Behinderungen aufwachsen.“ „Der kann weder laufen noch sprechen? Wie schlimm!”
Diese Reaktionen sind leider keine Seltenheit, wenn Menschen ohne Behinderungen über Menschen mit Behinderungen sprechen. In der Gesellschaft scheinen klare Vorstellungen davon zu herrschen, wie der menschliche Körper auszusehen hat und zu welchen Leistungen er in der Lage sein sollte. Es herrschen viele Ideale um die Idee eines guten Lebens. Nach diesen Kriterien beurteilen wir uns selbst und die Menschen um uns herum. Sind Menschen aus besonderen Gründen nicht in der Lage, diese Kriterien zu erfüllen, werden sie heutzutage bemitleidet oder – noch schlimmer – ausgegrenzt und diskriminiert.
Es liegt ein klarer Unterschied zwischen Mitleid und Mitgefühl. Um einen respektvollen und würdevollen Umgang mit anderen Menschen zu pflegen, braucht es kein Mitleid. Es hilft weder der Person, der sie gerichtet ist, noch dem, der sie empfindet. Wenn wir mit-leiden, dann distanzieren wir uns. Wir schauen weg, weil das Leid zu groß und die vermeintliche Lücke zwischen dem mir und dir zu weit scheint. Doch dabei verlieren wir. Wir verlieren auch alles, was da noch zwischen uns ist und alles, was uns verbindet. Mitgefühl hingegen schaut hin und nimmt wahr: Träume, Wünsche, Errungenschaften und Niederlagen, Erkenntnisse, Glück und Schmerz, Wachstum, Veränderung, Liebe und Leid. Mitgefühl schaut hin und hört zu, es nimmt wahr. Das Gute wie das Schlechte. Denn jeder Mensch hat Gutes und Schlechtes erlebt und lernt damit umzugehen. Wir dürfen andere Menschen und auch uns selbst nicht reduzieren auf Äußerlichkeiten oder vermeintliches Wissen über die Lebenssituation eines anderen.
Als Fotograf trage ich die Verantwortung für meine Bilder und die Menschen, die ich fotografiere. Ich trage die Verantwortung über das Licht und die Komposition und die Verantwortung, mein Gegenüber zu verstehen und würdevoll abzubilden. Es liegt in meiner Verantwortung als Mensch, zu verstehen und zu reflektieren, über das was ich tue und und wie ich etwas tue. Jedoch trage ich nicht die Verantwortung für das was du siehst und empfindest, wenn du meine Bilder siehst. Meine Bitte an dich lautet hinzuschauen, Mitgefühl zeigen und dich zu fragen: „Wie bewusst bist du dir über das was du fühlst, wenn du anderen Menschen begegnest“.